Straßenhunde an jeder Ecke, dazwischen Hundehotels und fahrbare Schönheitssalons. Warum ein Hundeleben in Mexiko sehr unterschiedlich aussehen kann, berichtet Christina Bell.
Spätestens beim Föhnen gibt Chia ihren Widerstand auf. Resigniert lässt sie das Procedere über sich ergehen, freilich nicht ohne dabei wie der ärmste Hund der Welt dreinzuschauen. Dass Besitzer Aarón in der Nähe bleibt, scheint den beigefarbenen Mischling zu beruhigen.
Das Ganze dauert etwa eine halbe Stunde: waschen, Haare und Nägel schneiden, föhnen, fertig. Kommuniziert wird nicht mehr als nötig. „Löwe oder Ratte?“ wird Aarón einmal mittendrin gefragt. „Löwe“, antwortet Aarón, und besiegelt damit das Aussehen seiner Hündin für die nächsten Wochen. Wenig später wird im türkis und rosa gehaltenen Inneren des umgebauten Lieferwagens eilig zusammengeräumt, die Bezahlung abgewickelt und schon ist der fahrbare Hundeschönheitssalon auf dem Weg zum nächsten Termin. Chia kehrt mit noch leicht steifem Gang vom Sitzen in den vertrauten Garten zurück. 280 Pesos, umgerechnet etwa 14 Euro hat ihr neuer Look gekostet.
Land des Lieferns. Im urbanen Mexiko kann man sich unzählige Produkte und Dienstleistungen auf Bestellung nach Hause bringen lassen. Apotheken, Supermärkte, Wäschereien – alle bieten Lieferservice, viele davon 24 Stunden am Tag. Selbst medizinische Dienstleistungen lassen sich ordern, bis hin zu Infusionen gegen den Kater nach einer durchfeierten Nacht. Wer über einen Internetzugang oder ein Telefon und die finanziellen Mittel verfügt, muss in Mexiko-Stadt theoretisch nicht so schnell das Haus verlassen. So ist nicht weiter verwunderlich, dass auch die Haustierbranche mitzieht. Im Straßenbild der mexikanischen Metropolen begegnen einem immer wieder bunte Lieferwagen mit Aufschriften wie „Puppy Spa“, „SpaCanino“ oder „Pet Zone“. Die fahrbaren Hundesalons kommen bis zur Haustür und benötigen lediglich Parkmöglichkeit und Steckdose – dann kann es losgehen mit dem Verschönerungsprogramm für den Vierbeiner.
Riesengeschäft. Abgesehen vom Bequemlichkeitsfaktor schlagen die Salons auf Rädern noch in eine andere Kerbe: den boomenden Markt rund um Haustiere. Eine genaue Zahl der in Mexiko lebenden Hunde gibt es aufgrund der vielen besitzerInnenlosen Tiere nicht. Schätzungen, unter anderem des Nationalen Statistikinstituts INEGI, bewegen sich zwischen 18 und 19,5 Millionen Hunden, damit ist Mexiko das Land mit den viertmeisten Hunden der Welt. Etwa zwei Drittel davon leben auf der Straße. Haben die Hunde BesitzerInnen, lassen sich diese ihre vierbeinigen Freunde durchaus etwas kosten. Seit 2008 stiegen die Ausgaben für Haustiere jährlich um durchschnittlich 13 Prozent auf inzwischen 2,3 Milliarden Euro. Das umfasst Nahrung, Dienstleistungen und Artikel wie Spielzeug oder Kleidung. Die Kurve für die nächsten Jahre zeigt nach oben: Das Marktforschungsunternehmen Euromonitor prophezeit dem Nahrungsmittelsektor für Haustiere bis 2020 ein Wachstum von 30 Prozent, dem Handel mit sonstigen Artikeln für Hund und Katz 23 Prozent.
Kinderersatz. Grenzt es nicht ans Absurde, dass man in Mexikos besseren Vierteln Cupcakes für Hunde kaufen kann oder die Vierbeiner im Nobelhotel mit Spa nächtigen lässt, während Millionen ihrer Artgenossen auf der Straße leben? „Solange es den Hunden gut geht, spricht für mich nichts dagegen“, sagt Mónica Pineda, Präsidentin der Tierschutzorganisation GEPDA. Sie sieht das steigende Bewusstsein für das Wohlergehen der Hunde als positive Entwicklung – und als Zeichen für gesellschaftlichen Wandel. „Gerade in den Städten gibt es immer mehr Menschen, die keine Kinder bekommen können oder wollen. Die Hunde übernehmen deren Rolle.“ Perrijos (zusammengesetzt aus Hund und Sohn) lautet das dafür kreierte Wort. In der Mittel- und Oberschicht sei es durchaus gängig, dass jemand für seinen Hund eine Geburtstagsparty veranstalte, mit allem Drum und Dran, von Geschenken bis Party-Outfit für den Vierbeiner. Zu Halloween und anderen Anlässen sind kostümierte Hunde ein verbreiteter Anblick.
Informationslücken. Tierärztin Laura Dominguez Orduña sieht das alles gelassen. Natürlich müsse man sich ansehen, wo es nicht mehr um die Tiere, sondern nur noch ums Geschäft gehe. Bei den Dienstleistungen rund um die Pflege gebe es einigen Wildwuchs. Genau wie Pineda sieht sie die eigentlichen Probleme aber woanders. „Wir Mexikaner lieben Hunde. Aber viel zu vielen fehlt es an Informationen, was so ein Tier wirklich braucht. Sie legen sich eine bestimmte Rasse zu, weil die gerade in Mode ist und sind dann völlig überfordert mit ihrem Hund.“ In Tierarztpraxen, die oft ebenso Pflegeleistungen anbieten, lieferten nicht selten Menschen ihren Hund zum Baden ab – um dann nie mehr zurück zu kommen. Auch viele Straßenhunde hätten eigentlich ein Zuhause, erzählt Pineda. GEPDA kümmert sich um vernachlässigte oder misshandelte Tiere, nebenbei lobbyiert die Organisation für strengere Tierschutzgesetze und einen bewussteren Umgang mit Tieren.
Spiegel der Gesellschaft. „Vieles ist in den letzten Jahrzehnten, zumindest in der Hauptstadt, besser geworden“, erzählt Pineda. „Vor allem was Gesetze und deren Vollzug betrifft.“ Auch gebe es mittlerweile einige Stadtviertel, wo keine Straßenhunde mehr zu sehen seien. Gleichzeitig habe, so wie allgemein, auch die Gewalt gegen Tiere eine neue Dimension erreicht. „Die meisten Hunde, um die wir uns kümmern, sind in irgendeiner Form Opfer der Grausamkeit des Menschen.“ Sie erzählt von vergessenen Haus- oder Nutztieren, die kurz vor dem Verhungern stehen, von der Vorliebe der Drogenbosse für exotische Tiere, von Banden, die streunende Tiere foltern. „Mexiko steckt in einem Teufelskreis der Gewalt“, resümiert Pineda. Das Grundproblem ist für sie klar: „Der herrschende Machismo. Dieser betrifft nicht nur die Frauen, sondern die ganze Gesellschaft.“
Auch Dominguez zieht den selben Schluss – und berichtet von seltsamen Auswüchsen. So sei sie etwa immer wieder damit konfrontiert, dass Männer ihre Hunde nicht sterilisieren lassen wollen, gerade die Rüden. Für eine bessere Kultur im Umgang mit Tieren ist noch einiges an Informations- und Überzeugungsarbeit nötig, sind sich beide Frauen einig. Und ein langer Atem, sagt Pineda: „Eine Veränderung in den Köpfen der Menschen zu erreichen, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt.“ Hunde mit Mode-Haarschnitt und Halloween-Kostüm sind dabei wohl Nebensache.
Christina Bell ist Journalistin und verbringt derzeit ein Jahr in Mexiko.
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